Wundmanagement kann mehr

KURZÜBERSICHT

Warum feststeckende Wunden?

Chronische Wunden (z. B. Dekubitus, Ulcus cruris, diabetischer Fuß) bleiben oft > 8 Wochen offen. Ein „durchlässiger“ Darm kann Entzündungen anfeuern und die Heilung bremsen.

Was können Pflegende tun?

Wundpflege plus „Innenpflege“: Ernährung prüfen, Ballaststoffe & Eiweiß sichern, Hydration fördern, Medikamenten- und Stuhlprotokolle führen, frühzeitig interdisziplinär handeln.

Chronische Wunden und Leaky Gut: Unsichtbare Bremse bei der Heilung

Pflegekräfte versorgen täglich chronische Wunden – in Kliniken, Pflegeheimen und zuhause. Trotz moderner Verbände stagniert die Heilung bei manchen Patient:innen über Wochen. Ein unterschätzter Verstärker im Hintergrund ist Leaky Gut: eine gestörte Darmbarriere, die stille Entzündungen im ganzen Körper begünstigt. Wer chronische Wunden nachhaltig verbessern will, sollte neben der lokalen Versorgung auch Darmgesundheit, Ernährung und Lebensstil mitdenken.

Was sind chronische Wunden?

Von einer chronischen Wunde spricht man, wenn ein Hautdefekt trotz adäquater Behandlung innerhalb von etwa acht Wochen nicht verheilt. Typische Beispiele:

  • Dekubitus (Druckgeschwür) bei Immobilität
  • Ulcus cruris (offenes Bein) – venös, arteriell oder gemischt
  • Diabetisches Fußsyndrom – Folge von Neuropathie und Durchblutungsstörung
  • Postoperative Wunden, die in der Heilung stagnieren

Chronische Wunden heilen meist sekundär, also von unten nach oben. Sie benötigen konsequente Ursachenarbeit (Druckentlastung, bessere Durchblutung, Infektkontrolle, Stoffwechselstabilisierung) – und Zeit.

Leaky Gut kurz erklärt

Der Dünndarm ist mit einer Schleimhaut ausgekleidet, deren „tight junctions“ nur ausgewählte Nährstoffe passieren lassen. Werden diese Verbindungen geschädigt, spricht man von Leaky Gut. Mögliche Auslöser sind u. a. ballaststoffarme Kost, viel Zucker und stark verarbeitete Lebensmittel, wiederholte Antibiotika-Gaben, Langzeit-NSAR, chronischer Stress oder eine Darmdysbiose. Die Folge: Bakterielle Fragmente und Toxine gelangen vermehrt in den Blutkreislauf, das Immunsystem reagiert mit Dauerentzündung – eine schlechte Ausgangslage für Wundheilung.

Warum Leaky Gut chronische Wunden verschlimmert

Entzündungsfeuer: Systemische Entzündungsbotenstoffe bremsen Granulation und Epithelisierung.
Nährstofflücke: Ist die Darmschleimhaut gestört, werden Eiweiß, Vitamin C, Zink & Co. schlechter genutzt – genau jene Bausteine, die der Körper für Kollagenaufbau, Zellteilung und Immunabwehr braucht.
Mikrobiom-Achse Haut–Darm: Ein destabilisiertes Darmmikrobiom erhöht die Infektanfälligkeit; Keimlast, Geruch und Exsudat nehmen zu, sauberes Granulationsgewebe bleibt aus.
Komorbiditäten: Leaky Gut ist oft mit Diabetes, Adipositas und erhöhter Entzündungsneigung verknüpft – alles Risikofaktoren für Wundheilungsstörungen.

Praxis: Woran Pflegende denken sollten

Screening-Fragen bei stagnierender Wunde

  • Verdauungsbeschwerden? (Blähungen, wechselhafte Stühle, Unverträglichkeiten)
  • Appetit-/Gewichtsverlust, schwankende Blutzuckerwerte, anhaltende Müdigkeit?
  • Häufige NSAR-Einnahme, wiederholte Antibiotika, Protonenpumpenhemmer?
  • Trinkmenge < 1,5–2 l/Tag? (je nach Anordnung)
  • Exsudat, Geruch, stagnierende Granulation trotz korrekter Wundauflage?

Was direkt hilft

  • Ernährung und Trinkmenge dokumentieren; bei Defiziten früh Ernährungsteam einbeziehen.
  • Stuhlverhalten protokollieren; Obstipation adressieren (Schmerzmittel-/Opioid-Plan prüfen).
  • Blutzucker stabilisieren (Absprache mit Ärzt:innen).
  • Druckentlastung konsequent umsetzen (Lagerungsplan, Hilfsmittel).
  • Verbandwechsel phasengerecht, atraumatisch und regelmäßig – ohne unnötige Austrocknung.
  • Aufklärung in Alltagssprache: „Eiweiß ist das Pflaster von innen; Ballaststoffe füttern die guten Darmbakterien.“

Ernährung: „Innenpflege“ für bessere Heilung

Energie & Eiweiß
Bei chronischen Wunden steigt der Energiebedarf, gleichzeitig ist eine ausreichende Proteinzufuhr (häufig 1,2–1,5 g/kg KG/Tag) wichtig. Alltagsnah: zu jeder Mahlzeit eine Eiweißkomponente (z. B. Joghurt/Quark, Eier, Hülsenfrüchte, Fisch, mageres Fleisch, Tofu/Nüsse).

Mikronährstoffe

  • Vitamin C unterstützt Kollagensynthese und wirkt antioxidativ (Beeren, Paprika, Kohl, Zitrus).
  • Zink & Selen helfen bei Zellteilung und Immunfunktionen (Haferflocken, Nüsse, Linsen, Käse, Eier).
  • Vitamin D: Spiegel im Blick behalten, insbesondere bei älteren, immobilen Patient:innen (ärztliche Abklärung).

Ballaststoffe & Mikrobiom
Täglich Gemüse, Vollkorn, Hülsenfrüchte; dazu fermentierte Lebensmittel wie Naturjoghurt, Kefir oder Sauerkraut – das fördert eine stabile Darmbarriere. Ausreichend trinken, damit Ballaststoffe quellen können.

Lebensstilbausteine
Moderate Bewegung (nach Rücksprache), Schlafhygiene, Stressreduktion, Rauchstopp – alle verbessern Durchblutung und Immunlage.

Pflegeablauf bei chronischer Wunde mit Verdacht auf Leaky Gut

  1. Assessment starten: Ernährungs-, Medikamenten-, Stuhl- und Schmerzprotokoll.

  2. Ursachen adressieren: Druck, Ödeme, schlechte Schuhversorgung, Blutzucker.

  3. Wunde phasengerecht versorgen: Feuchtes Milieu, atraumatischer Verbandwechsel, Infektzeichen eng überwachen.

  4. Interdisziplinär planen: Ärzt:innen, Wundexpert:innen, Diabetologie, Gefäß- oder Fußambulanz, Ernährungsberatung.

  5. Verständlich erklären: Warum Ernährung & Darm so wichtig sind – Ziele vereinbaren (Trinkmenge, Eiweißportionen, Ballaststoffquellen).

  6. Dokumentieren & evaluieren: Foto, Fläche/Tiefe, Exsudat, Schmerz, Geruch, Granulationsgrad; Maßnahmen wöchentlich bewerten.

Häufige Fehler – und wie man sie vermeidet

  • Wunde „an der Luft“ lassen: Austrocknung und Schorf verzögern die Heilung.
  • Aggressive Desinfektion im Dauergebrauch: Reizt Gewebe; sanft und indikationsgerecht arbeiten.
  • Zu seltene Verbandswechsel oder falsches Material: Auf Drainage, Exsudatmenge und Hautschutz achten.
  • Druckentlastung halbherzig: Ohne konsequente Entlastung stagniert jede chronische Wunde.
  • Ernährungsdefizite übersehen: Keine Heilung ohne Bausteine – Protokolle helfen.
  • Medikamentenfolgen ignorieren: NSAR, Antibiotika, bestimmte Säureblocker können Darm und Heilung belasten.

FAQ – Häufige Fragen

Wie zeigt sich eine Wunde, die „feststeckt“?
Unveränderter Wunddurchmesser, weiche aufgequollene Ränder, Geruch/Exsudat, fehlendes frisches Granulationsgewebe, unverhältnismäßig starke Schmerzen.

Was spricht für Leaky Gut im Pflegealltag?
Gastrointestinale Beschwerden, wiederholte Infekte, CRP/Entzündungsneigung, Mangelzustände und stagnierende Wunden – zusammen mit ballaststoffarmer Kost oder Langzeit-NSAR.

Hilft reine „Wundpflege von außen“?
Sie ist notwendig, aber selten ausreichend. Ohne Energie, Eiweiß, Mikronährstoffe und stabiles Mikrobiom bleibt die Heilung langsam.

Wann muss ärztlich abgeklärt werden?
Bei Infektzeichen (Fieber, Eiter, zunehmende Rötung/Schmerz), ausbleibender Verbesserung, starker Exsudation, Nekrosen, Durchblutungsstörungen oder unklarem Diabetes-Status.

Ersetzen diese Hinweise eine Behandlung?
Nein. Sie geben Orientierung im Alltag und ersetzen weder Diagnostik noch Therapie durch Fachpersonal.

Hinweis: Wir geben Orientierung und Sicherheit im Alltag und ersetzen nicht den Arztbesuch. Bei Warnzeichen oder ausbleibender Besserung bitte ärztlich abklären.

Quellen

  • O’Connell JB. The economic impact of chronic wounds. Wounds. 2020.
  • European Pressure Ulcer Advisory Panel (EPUAP). Prevention and Treatment of Pressure Ulcers/Injuries. 2019.
  • Weimann A, Braga M, Carli F et al. ESPEN guideline: Clinical nutrition in surgery. Clin Nutr. 2017.
  • Camilleri M. Leaky gut: mechanisms, measurement and clinical implications in humans. Gut. 2019.
  • Ouwehand AC. Gut microbiome and skin wound healing. Microorganisms. 2022.
  • Gyaky H. Vortrag „Darmgesundheit und Wundheilung“. 2021.
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